Digitale Musikdateien im Vergleich zu Vinyl

Wenn man die technischen Parameter der Schallplattenwiedergabe mit denen der Wiedergabe von Digitaldateien vergleicht, sind die Digitaldateien  dem Vinyl haushoch überlegen. Beim tatsächlichen Hörvergleichen sieht die Sache allerdings oft anders aus. Überraschender Weise klingt die hochwertige Wiedergabe einer guten Schallplatte nicht selten deutlich atmosphärischer, lebendiger, räumlicher und plastischer – schlicht realistischer, als die hochwertige Wiedergabe von Digitaldateien. Es lohnt sich den Widerspruch etwas näher zu untersuchen. Da jede Kette nur so stark ist, wie ihr schwächstes Glied, sind dazu für beide Wiedergabeverfahren die wesentlichen klangbeeinflussenden Elemente von der Tonaufzeichnung bis zur Weiterleitung an den Verstärker der heimischen Anlage zu betrachten. Ab dem (Vor-)Verstärker der Wiedergabekette ist der Signalweg zwischen Schallplatten und Digitalwiedergabe gleich.

Natürlich bedeutet das Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Aber genau das tun wir Audiophile jeden Tag, wenn wir zwischen Vinyl- und Dateiwiedergabe hin- und herwechseln – genau wie der Obstconnaisseur, der mit seinem Griff in den Obstkorb, seine relative Bewertung von Äpfel und Birnen ausdrückt.

 

I. DIE PARAMETER DER SCHALLPLATTENWIEDERGABE

Die Schallplatte ist ein aus Polyvinylchlorid (PVC) bestehender runder, scheibenförmiger Tonträger, in der die Klang-Informationen in einer spiralförmigen Rille, deren Flanken (bei der Stereoschallplatte) die Schallschwingung des Signals abbilden (Flankenschrift nach A. Blumlein), gespeichert sind. Insofern beeinflussen nicht nur die Elemente zur Tonaufzeichnung und Herstellung der Schallplatte das klangliche Ergebnis, sondern auch die Elemente der Abtastung und Wiedergabe.

Graphik 1: Schematische Abtastung einer Langspielplatte

Graphik 2: Tonabnehmersystem mit Abtastnadel auf einer Schallplatte

 

a) Tonaufzeichnung und Herstellung der Schallplatte:

Die auf der Schallplatte gespeicherten Informationen haben (von Ausnahmen, wie dem Direktschnittverfahren abgesehen) folgende Wegstrecke durchlaufen (bei Annahme einer analogen Schallquelle):

  • Mikrophon,
  • Analoger Mikrophonverstärker,
  • Analoges Mischpult,
  • Analoge Bandaufzeichnungsmaschine,
  • (Audio-)Masteringanlage,
  • (technisches) Mastering und Schneidegerät,
  • Galvanisches Verfahren und
  • Pressmaschine

Bis auf das galvanische Verfahren und die Pressmaschine, die nur noch Einfluss auf die geometrischen und Oberflächenbeschaffungsparameter hat (und damit auf die Qualität der Abtastung und Wiedergabe), haben alle anderen Stationen mehr oder weniger Einfluss auf die akustischen Parameter der aufgezeichneten Toninformationen selbst.

b) Abtastung und Wiedergabe:

Für die Abtastung der Schallplatteninformationen sind von Relevanz:

  • das Laufwerk,
  • der Tonabnehmer und Tonarm sowie
  • der Phonovorverstärker

Im Endergebnis ist die Schallplatte ein Medium, das als Endprodukt einer langen Kette von Produktions- und Wiedergabeschritten mit z.T. unterschiedlichen technischen Parametern im Schnitt folgende Parameter nicht wesentlich überschreitet:

  • Frequenzumfang: 20 – 20.000Hz (+/- 3dB)
  • Dynamikumfang: 50 – 60dB (20Hz-20kHz)
  • Gleichlaufschwankungen: 0,06%
  • Verzerrungen: 0,2% (bei 1kHz)
  • Übersprechdämpfung: 35 dB (20Hz-20kHz)

Dabei sind die Größenordnungen dieser Daten wichtiger, als die genauen Werte für einzelne Geräte. Die Daten sind auch nicht immer direkt vergleichbar. Und natürlich gibt es in jeder Gerätekategorie eine große Qualitätsbandbreite – aufnahme- wie wiedergabeseitig. Hier geht es nicht um die Grenzen des technisch Machbaren, sondern um die Daten in einem repräsentativen Querschnitt des gehobenen Qualitätssegments mit dem audiophile Hörer Erfahrungen haben oder haben könnten.

 

II. DIE PARAMETER DER WIEDERGABE VON 96 KHZ/24BIT PCM-DATEIEN:

Eine Datei ist ein Bestand inhaltlich zusammengehöriger Daten mit einem definierten Datenformat (z.B. WAV, Flac, mp3)  in Form einer eindimensionalen Aneinanderreihung von Bits, die normalerweise in Byte-Blöcken zusammengefasst von einer Anwendung interpretiert werden. Digitale Musikdateien sind – anders als die Titel einer Schallplatte – datenträgerunabhängige Dateien. Heutzutage werden sie zumeist auf magnetischen Datenträgern (z.B. HDDs) oder Flash-Speicher (z.B. USB-Sticks, Speicherkarten, SSDs) gespeichert. In Zukunft kann sich das Trägermedium beliebig ändern, ohne dass dies an den elektro-akustischen Eigenschaften der Datei einen Unterschied machen würde. Da im digitalen Bereich jede Kopie identisch ist mit dem Original, entfällt die aus dem analogen Bereich bekannte Degradation der Informationsqualität mit jedem Kopierschritt. Dies ermöglicht die Verwendung des Digitalen Masters der jeweiligen Tonaufzeichnung sogar beim Kunden zu Hause. Damit kann heutzutage – zum ersten Mal in der Geschichte der Tonaufzeichnung – der Kunden zuhause exakt die Qualität hören, die die Künstler selber im Studio gehört haben.

Graphik 3: Masteringscreen von Wavelab

 

a) Tonaufzeichnung und Herstellung des Digitalmasters:

Die im Digitalmaster gespeicherten Informationen haben folgende Wegstrecke durchlaufen (bei Annahme einer analogen Schallquelle):

  • Mikrophon,
  • digitaler Mikrophonverstärker,
  • Mischpult (oft Software-basiert) und
  • digitale Masteringstation (DAW)

b) Wiedergabe des Digitalmasters:

Für die Wiedergabe des Digitalmasters ist primär der Digital-Analog-Konverter klanglich relevant. Die von vielen Nutzern gerne diskutierten Klangeigenschaften der Abspielsoftware oder des Betriebssystems gehören – unter Annahme korrekter Systemeinstellungen – nicht zu den klangbeeinflussenden Elementen. Die ebenso leidenschaftlich diskutierten Einflüsse von Stromversorgung und Kabelqualität sind unbestritten, aber hier grundsätzlich nicht (also auch nicht auf der Analogseite) berücksichtigt.

Im Endergebnis ist das Digitalmaster im Format 96kHz/24Bit ein Medium, das als Endprodukt einer Kette von Produktions- und Wiedergabeschritten mit z.T. unterschiedlichen technischen Parametern im Schnitt folgende Parameter beim Abhören nicht wesentlich überschreitet:

  • Frequenzumfang: 5 – 45.000Hz (+0/-3dB)
  • Dynamikumfang: 120 dB (5Hz-45kHz)
  • Gleichlaufschwankungen: 0,0%
  • Verzerrungen: 0,003% (bei 1kHz)
  • Übersprechdämpfung: 100dB (20Hz-20kHz)

Die digitale Musikreproduktion (mit zumindest 96kHz/24Bit)  ist der analogen somit in allen üblichen technischen Parametern haushoch überlegen. Generell kann man sagen, dass die weitaus größere Einschränkung der Signaltreue auf der Wiedergabeseite liegt. Die Aufnahmeseite ist und war auch in der Vergangenheit von wesentlich höherer Qualität, als selbst beste High-End-Wiedergabeanlagen je zu reproduzieren in der Lage waren oder sind.

Natürlich könnte man einwenden, dass die hier zitierten technischen Parameter für die Beschreibung der Klangqualität (Frequenzumfang, Dynamikumfang, Verzerrungen etc.) nicht ausreichend sind, um die Klangqualität eines Aufnahme- und Wiedergabesystems vollständig zu beschreiben. An dem Argument ist etwas dran. Denn es gibt vielfältige Beispiele von Systemen mit denselben Messergebnissen aber sehr unterschiedlichem Klang. Nur müssten die Proponenten dieses Argumentes dann auch Vorschläge machen, welche Parameter mit den üblichen Messverfahren nicht erfasst werden und wie sie zu erfassen wären.

 

III. Klangliche Auswirkungen

Angesichts dieser deutlichen technischen Vorteilen der digitalen Wiedergabe, woher kommt die subjektive Vorliebe vieler – allen voran auch audiophiler Menschen und wir zählen uns uneingeschränkt dazu – für die Schallplattenwiedergabe? Nun, hier spielen unterschiedliche Faktoren auf beiden Seiten eine Rolle:

a) Auf Seiten der Vinylwiedergabe:

Zum einen beruhen, in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle, Klangunterschiede zwischen den digitalen Versionen (CD, SACD, DVD-A, Download) und der anlogen Versionen (LP) desselben Albums auf unterschiedlichen Masterings, so dass bereits das ursprüngliche Masterband für die digitale Version sich von der analogen Version z.T. erheblich unterscheidet. Diese unterschiedlichen Masterings sind teilweise geschmackliche Anbiederung an das jeweilige Zielpublikum, zu einem Großteil allerdings technisch notwendig, da es enorm anspruchsvoll ist, ein Frequenzband im Umfang des menschliches Gehöres auf Schallplattenrillen zu modulieren. Hierzu gehören u.a.:

  • Schneideverzerrungen (heute zumeist nach RIAA-Spezifikation), um die Probleme der Auslenkung und des Platzverbrauches bei niederen Frequenzen und der mangelnden Dynamik bei hohen Frequenzen in den Griff zu bekommen.
  • steilflankige Begrenzung der Höhen bei 18 oder 19kHz, um Intermodulationsprobleme zu vermeiden
  • Reduzierung der Frequenzen unterhalb ca. 500Hz auf mono und Anordnung der tieffrequenten Tonereignisse in der klanglichen ‘Mitte’, um Probleme beim Schneideprozess zu vermeiden
  • steilflankige Begrenzung der Frequenzen unterhalb von 30 oder 40Hz, um die Zeitdauer/Dynamikbalance der Platte zu optimieren und
  • spätere Tonarmresonanzprobleme zu vermeiden

Die digitale Version desselben Albums kann und „darf“ in Bezug auf Dynamik, Spektrum und Stereoinformation deutlich mehr als die Schallplatte. Es ist auch nicht zu vergessen, dass selbst zwischen verschiedenen Masterings desselben  Vinylalbums erhebliche Klangqualitätsunterschiede bestehen können. Solche verschiedenen Masterings ergeben sich aus der regionalen Verteilung der Presswerke (ein z.B. in den USA entstandenes Album-Master wird in den USA vom Originalband und in Asien bzw. Europa von Kopien des Masterbandes gepresst) oder aus – gerade in den letzten Jahren so beliebten Reissues. Allerdings folgt aus diesen Unterschieden noch kein subjektiver Vorteil für eine der Versionen, denn es gibt keinen Grund anzunehmen, dass das Mastering für die analoge Version grundsätzlich klanglich besser erfolgt als für die digitalen Versionen.

Zum anderen dürfte die Vorliebe für die Schallplattenwiedergabe nicht unerheblich auf einer Art „Missverständnis“ beruhen. Denn es sind interessanterweise gerade die technisch notwendigen Einschränkungen in der Schallplattenproduktion, die vom menschlichen Gehör als ‘besser’ oder zumindest ‘angenehmer’ empfunden werden. Zwar sucht der Audiophile dem Ideal des Originals möglichst nahezukommen, doch in Wahrheit bewegt er sich mit der Vorliebe für Schallplattenwiedergabe vom Originalklang weg und hin zu einem subjektiven Klangideal, dass im Umfeld des eigenen Hörraumes als besonders hörpsychologisch “angenehm” empfunden wird. Die Gründe hierfür sind vielfältig:

  • Systembedingtes Rauschen in der Analogtechnik wirkt in Maßen räumlichkeitssteigernd und angenehm
  • Harmonische Verzerrungen der Schallplattenwiedergabe (geradzahlige Vielfache der jeweiligen Frequenzen), bei denen künstliche Oberwellen erzeugt werden (z.B. mehr Brillanz in den hohen Frequenzen), klingen “spritziger” und lebendiger. Geradzahlige Teiltöne (darunter besonders die erste Oktave) etwa sind sehr beliebt, da sie Klänge wärmer, aber auch klarer und konturierter erscheinen lassen können – ein Hauptgrund für die noch heute beliebte Verwendung von bestimmten Röhrengeräten.
  • Sanfteres Clipping-Verhalten der Schallplatte bei übersteuerten Aufnahmen führen zu weicherem, analogerem Klang,
  • Die geringere Übersprechdämpfung der analogen Tonaufzeichnung führt zu einer ungenaueren, weniger präzisen Stereoabbildung, was gefälliger klingen kann (so werden aus diesem Grund auch beispielsweise bei der Aufnahme manche Mikrofonierungsverfahren anderen, technisch präziseren vorgezogen)
  • Dynamikkompression macht das Hören zuhause deutlich angenehmer. Andernfalls müsste der Hörer ständig bei leisen Passagen die Lautstärke hochregeln und bei lauten Passagen wieder runter regeln.
  • Durch die Kompressionseffekte bekommt die Musik auch mehr Druck (nicht unähnlich dem Mastering im sog. ‚Loudness-War‘).
  • Im technischen Mastering (also die Vorbereitung zum Schneiden einer Schallplatte) werden die Höhen oft aus technischen Gründen bei 18 oder 19 kHz steilflankig begrenzt. Im Ergebnis „atmet“ die Musik dann etwas weniger, aber dafür erscheint sie wärmer und “analog” angenehmer.
  • Nichtlineare Frequenzgänge bei den Komponenten der Schallplattenwiedergabe führen oft zu (und werden von den Herstellern des entsprechenden Equipments auch oft bewusst dazu eingesetzt) einem für den Hörer angenehmen, aber dem Originalklang fremden, Tuning des Klanges.

Dies bestätigt z.B. auch Jim Anderson, Grammy ausgezeichneter Aufnahme-Ingenieur und Professor am New York University Clive Davis Institute of Rescorded Music: “I think some people interpret the lack of top end [on vinyl] and interpret an analog type of distortion as warmth. “It’s a misinterpretation of it. But if they like it, they like it. That’s fine.”

Je hochwertiger die Komponenten des Schallplatten-Wiedergabesystems sind, desto kleiner fallen diese Klangverfälschungen aus. Im Vergleich zur Digitalwiedergabe ist jedoch bei der Schallplattenwiedergabe ein extrem großer Aufwand bezüglich der Wiedergabekette nötig, um die physikalischen Unzulänglichkeiten der analogen LP-Wiedergabe möglichst klein zu halten.

b) Auf Seiten der Dateiwiedergabe:

Während also bei der Schallplatte, die technischen Eigenheiten einen – wenn nicht der Wahrheit entsprechenden, aber zumindest den hörpsychologischen Empfindungen im privaten Hörraum – vorteilhaften Effekt haben, ist dies bei der digitalen Dateiwiedergabe genau umgekehrt. Hier führen die technischen Eigenheiten der Wiedergabe oft zu einem unangenehmeren Hörerlebnis. Insbesondere die in der Digital-Analog-Wandlung verwendeten Anti-Aliasing-Filter weisen ein sog. Filter-Ringing auf: Linearphasige Filter haben eine symmetrische Impulsantwort. Sie weisen also nicht nur ein Aus- sondern auch ein spiegelsymmetrisch zur Ankunftszeit des Signals liegendes, ebenso langes und völlig unnatürliches Einschwingen auf. Dabei sind beide Schwingungsvorgänge umso länger, je höher die Ordnung, also je steilflankiger das Filter ist (s. Grafik 4). Genau diese Signalverfälschungen führen bei kurzen Transienten mit einem ausgebreiteten Spektrum zu „Verschmierungen“ in der Zeitdomäne. Das lässt digitale Dateien oft hart, über-transparent und unnatürlich klingen – so als würde die Musik hinter einer gut geputzten Glasscheibe spielen.

Graphik 4: Symmetrische Impulsantworten bei verschiedenen Samplingraten

Ideal wäre eine Lösung, die die Überlegenheit des digitalen Formats nutzt, ohne deren Nachteile mitzubringen. So etwas geht natürlich auch: Non-Over-Sampling(NOS)-DAC-Technologie verwendet keine Anti-Aliasing-Filter bei der Digital-Analog-Wandlung und produziert nicht zuletzt deshalb ein besonders natürliches (analoges) Klangbild.

Ob man nun Vinyl zugeneigt ist oder nicht, was gefällt, ist auch recht. Wir lieben Vinyl. Neben den sehr schönen klanglichen Aspekten gibt es ja auch noch das Erlebnis der Zeremonie des Schallplattespielens: Abgesehen davon, dass es reichhaltige, über die Jahrzehnte entstandene Plattensammlungen gibt und mit ihnen kleinere und größere Erinnerungen und Geschichten zu den jeweiligen Stücken. So ist es doch immer wieder etwas ganz Besonderes, die Plattenrücken im Regal nach genau dieser einen Platte mit genau diesem einen Stück abzusuchen. Das großformatige Cover dann endlich in der Hand zu halten, es zu betrachten, die Scheibe aufzulegen, abzuwischen und der Nadel beim Aufsetzen auf der Rille zuzusehen und dieses spezielle Aufsetzgeräusch der Nadel, gefolgt von dem Rauschen/Knistern in der Einlaufrille zu hören, bevor das Stück beginnt …

© Alexej C. Ogorek